Schutz für eine palästinensische Knesset-Abgeordnete
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Annette Groth (Die Linke) mit Stéphane Hessels Buch "Empört Euch!" © DBT/Melde |
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Annette Groth (Die Linke) mit Stéphane Hessels Buch "Empört Euch!" © DBT/Melde |
Ein Jahr nach dem israelischen Massaker in Gaza
Trauer um die Opfer, Solidarität mit den Menschen in Palästina und Libanon. Wir wollen Kerzen anzünden für alle Opfer der israelischen Besatzungspolitik.
Wir haben uns heute hier zusammengefunden, um an die Opfer des dreiwöchigen israelischen Bombardements auf die eingeschlossenen Palästinenser in Gaza vor einem Jahr zu erinnern: Ganze Familien wurden ausgelöscht, es gab über 1400 Tote und fast 6000 Verletzte, bis heute können viele nicht adäquat behandelt werden, dadurch starben bisher 370 Menschen. Es fehlt an Medikamenten und medizinischen Hilfsmitteln wie Rollstühle. Das israelische Militär zerstörte in einem 22 Tage dauernden Bombenhagel die gesamte Infrastruktur von Gaza, Wohnhäuser, Fabriken, Krankenhäuser, Schulen, Moscheen, das einzige Elektrizitätswerk und die Wasserversorgung.
Viele Augenzeugen berichteten uns über die heutige katastrophale Situation in Gaza, das weiterhin unter israelischer Belagerung ist, in das kein Baumaterial gelassen wird für einen Wiederaufbau, so dass viele Menschen nun einen zweiten Winter in Zelten verbringen müssen. Und anstatt dass die Grenzen endlich geöffnet werden, plant Ägypten eine kilometerlange Metallmauer an seiner Grenze zu Gaza, die bis zu 30 Meter tief in die Erde eingelassen werden soll. Dadurch werden die Menschen in Gaza noch hermetischer eingeschlossen sein. Schon heute nennen manche Gaza das größte Freiluftgefängnis der Welt.
Die Palästinenser haben ein schreckliches Jahr erlebt: Ob in Palästina oder im Exil, jeder hat auf seine Weise Leid erfahren wie so oft schon in unserem Leben: Entweder den Tod in der eigenen Familie oder von Freunden oder die dauernde Angst um die Lieben, wenn man weit weg in einem anderen Land lebt und mit dem Herzen „zu Hause“ bei den Leidenden sein will. Auch die Hilflosigkeit des Exils war manchmal fast unerträglich.
Aber es war auch ein Jahr, in dem wir von Menschen unserer zweiten Heimat viel Solidarität und Hilfe erhalten haben, nicht nur bei den großen Demonstrationen in Berlin, auch bei politischen und kulturellen Veranstaltungen, bei Ehrungen von Friedensstiftern, zum Teil – wenn auch viel zu selten – von Politikern und Journalisten. Viele Basisgruppen stehen an unserer Seite. Dafür wollen wir unseren Dank aussprechen. Besonders dankbar sind wir den internationalen Friedenskräften in Palästina, die sich an den friedlichen Demonstrationen in Dörfern wie Bil‘in und Nil’in beteiligen und von den gewalttätigen Übergriffen des israelischen Militärs berichten, von Verletzten und verhafteten Pazifisten, und lautstark ihre Freilassung fordern. Wir danken den Organisatoren der „free-Gaza-Boote“ von Zypern nach Gaza, die von der israelischen Marine beschossen und vorübergehend inhaftiert wurden. Sie planen, in diesem Jahr wieder mit Schiffen die Belagerung von Gaza zu durchbrechen. Wir danken den Teilnehmern des Friedensmarsches in Ägypten und dem Organisator des dritten Hilfskonvois „Viva Palestina“ für Gaza, George Galloway. Sie alle waren so mutig und haben erreicht, dass die Weltöffentlichkeit auf unser Unglück schaute und viele Menschen ein Ende der israelischen Besatzung forderten. Der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen hat den Juristen Richard Goldstone und sein Team mit der Untersuchung der Menschenrechtsverletzungen und möglichen Kriegsverbrechen in Gaza beauftragt. Der 575-Seiten Bericht über das israelische Massaker in Gaza hat den Grundstein gelegt für eine mögliche Bestrafung der israelischen Kriegsverbrecher. Richard Goldstone und seinem Team gilt unser tief empfundener Dank. So wollen wir an diesem Wochenende hier in Berlin wie es auch an vielen anderen Orten auf der Welt geschieht, ein Ende der israelischen Besatzung in Palästina fordern, gegen die Mauer in Palästina und die zusätzliche Mauer an der ägyptischen Grenze nach Gaza protestieren. Wir protestieren gegen die tägliche Bedrohung durch israelische Kampfflugzeuge über Palästina und dem Libanon, durch die besonders die Jüngsten und die Ältesten in dauernde Angst versetzt werden. Wir fordern die Freilassung unserer fast 11.000 Gefangenen, darunter Frauen, Kinder und Jugendliche. Niemand wird vergessen, Ihr seid in unseren Herzen. Trotz allem wollen wir den Menschen in Palästina zurufen: Verzweifelt nicht, ihr seid nicht allein. Die Welt ist voller Hoffnung, auch für uns in Palästina.
Ab diesem Jahr werden die Palästinenser weltweit immer zwischen dem 13. und dem 19. Januar zum Gedenken an das Gaza-Massaker eine Palästina-Woche veranstalten.
Wir wollen gleichzeitig an die unglücklichen Menschen in Haiti denken und mit Kerzen auf diese furchtbare Naturkatastrophe hinweisen, die die Ärmsten der Armen erlitten haben. Sie wurden schon vorher in ihrer Armut von den Herrschern der Welt im Stich gelassen. Unser Mitgefühl gilt auch Ihnen in ihrem Leid.
Palästinensische und Arabische Vereinigungen in Berlin
Die Würde des Menschen ist unantastbar.
Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt
(Artikel 1 des Deutschen Grundgesetzes)
Der Tag der deutschen Einheit ist ein Feiertag für alle hier lebenden Menschen.
Besonders die hier lebenden Palästinenser wünschen sich für ihre erste Heimat eine Zukunft in Freiheit und Würde, ohne Unterdrückung, Entrechtung, Vertreibung, Verfolgung, ohne Mauer. Sie wünschen sich ein Ende der Besatzung, einen eigenen lebensfähigen Staat in sicheren Grenzen. Sie wünschen sich Frieden.
Als die Mauer in Berlin fiel am 9. November 1989, ging die 1. Intifada, der pazifistische Aufstand der palästinensischen Gesellschaft, getragen hauptsächlich von ihrer Jugend, in das zweite Jahr. Es war der Aufstand gegen unerträgliche Lebensbedingungen der Palästinenser unter israelischer Besatzung. Mit großer Härte reagierte damals das israelische Militär, es gab viele Opfer.
Die erste Intifada wurde beendet mit den Oslo-Verträgen, für deren Zustande-kommen Arafat, Peres und Rabin 1994 den Friedensnobelpreis erhielten.
Doch die Hoffnungen auf Frieden haben sich nicht erfüllt, sieben Jahre nach dem Oslo-Abkommen und der Rückkehr eines Teils der palästinensischen Führung aus dem Exil unter Arafat brach im Jahre 2000 die zweite Intifada aus als Widerstand einer unbewaffneten Bevölkerung gegen Besatzung, Unter-drückung, Siedlungsbau und Häuserzerstörung.
Auslöser für die zweite Intifada war der provokative Besuch von Ariel Scharon auf dem „Haram asch-Scharif Al Aqsa Moschee “, dem Heiligen Bezirk in der Jerusalemer Altstadt, um dort israelische Präsenz und Souveränität zu demon-strieren. Dafür bekam er 1000 Polizisten und Soldaten von Ministerpräsident Barak mit auf den Weg und eine Lüge dazu: Man habe die Palästinenser vorher gefragt und sie hatten nichts dagegen. In Wahrheit hatte u.a. Präsident Arafat eindringlich gewarnt. Bei anschließenden Demonstrationen wurden am ersten Tag 24 Menschen verletzt, zum allgemeinen Aufstand führten jedoch erst die Zusammenstöße am zweiten Tag, nach dem Freitagsgebet, es gab vier Tote und über 200 Verletzte. Fast alle waren in die obere Körperhälfte getroffen worden, was auf die Absicht der gezielten Tötung schließen ließ. Innerhalb von Stunden breitete sich eine Welle von gewaltsamen Zusammenstößen in allen palästinensischen Gebieten aus. Von Anfang an schoß das israelische Militär gezielt auf unbewaffnete Kinder und Jugendliche. Erst nach dem Tod vieler Demonstranten brach die zweite Intifada aus.
Wir erinnern an die Folgen: Es folgten Kollektivbestrafungen und Häuserzer-störungen, gezielte Tötungen einzelner Palästinenser, das Massaker von Jenin, die Belagerung des Regierungssitzes von Präsident Arafat, seine Ermordung. Und schließlich die Belagerung von Gaza, die Bombardierung von Gaza Ende Dezember/Anfang Januar dieses Jahres. Die Belagerung dauert an – bis heute. Zehntausende
Kinder in Gaza leiden unter posttraumatischen Belastungsstörungen.
Das ist der Hintergrund, warum Palästinenser mit großer Angst reagieren, wenn
es eine Provokation auf dem Haram asch-Scharif Al Aqsa in Jerusalem gibt, wie jetzt ausgerechnet am Jom-Kippur-Tag, dem jüdischen „Versöhnungsfest“, als Siedler, verkleidet als Touristen in die Al Aqsa Moschee eindringen wollten, dort für Unruhe sorgten und es zu Verletzungen von betenden Palästinensern kam. Es ist die Angst vor einer dritten Provokation, denn ähnlich wie 2000 sind die Lebensumstände der Palästinenser unerträglich geworden. Das Massaker von Gaza mit vielen Toten und Schwerverletzten hat zwar dazu geführt, dass ein Bericht über israelische Kriegsverbrechen mittlerweile vorliegt, aber die neue rechte Regierung unter Netanjahu verweigert eine Stellungnahme.
Die Entarabisierung von Ostjerusalem schreitet fort, Palästinenser werden enteignet, ihre Häuser werden abgerissen, der Siedlungsbau in Ostjerusalem und in der Westbank dauert an, 11000 politische Gefangene, darunter Frauen und Kinder, sitzen in israelischen Gefängnissen.
Der einzelne gefangene israelische Soldat Gilad Schalit ist weltbekannt und um seine Freilassung wird seit drei Jahren gerungen, eine schrittweise Freilassung im Austausch von einigen hundert palästinensischen Gefangenen ist neulich mit deutscher Hilfe vereinbart worden. Wir sehen ergreifende Bilder im Fernsehen von 20 entlassenen Frauen mit ihren Kindern, aber nur in diesem Zusammenhang wird über unsere vielen Gefangenen überhaupt gesprochen.
Immer noch hoffen wir, dass unter der amerikanischen Regierung von Barack
Obama ein Hoffnungsschimmer am Horizont bleibt. Daß die israelischen Machthaber auf ihre eigene Friedensbewegung hören und nicht mit Gewalt gegen die Pazifisten
in den palästinensischen Dörfern Nil’in und Bil’in vorgehen: Unterstützt von internationalen Friedenskräften demonstrieren die Bewohner seit Jahren jeden Freitag gegen die Mauer in ihren Dörfern.
Wir fordern:
Sofortiger Siedlungsstopp – Entlassung der politischen Gefangenen – Ende der
Belagerung von Gaza – das Rückkehrrecht der palästinensischen Flüchtlinge – das Ende der Besatzung und einen palästinensischen lebensfähigen Staat in sicheren Grenzen.