Samstag, 6. April 2002

Palästinenser in Deutschland - "Da kommt etwas hoch"

04.04.2002

"Da kommt etwas hoch"

Von Süleyman Artiisik


Unter den 200.000 Palästinensern in Deutschland gärt es. Viele von ihnen eint die Wut auf Israel, Lehrer fürchten Zusammenstöße an den Schulen. Palästinensische Organisationen in Deutschland rufen ihre Landsleute zur Ruhe auf.


Berlin – Vergeblich versucht Samira Amin von einem Telefon-Café aus, wo zu günstigen Preisen ins Ausland telefoniert werden kann, ihre Verwandten in Ramallah zu erreichen. "Ich probiere es schon seit Tagen", sagt sie, "doch ich bekomme einfach keine Verbindung." Wie der 53-Jährigen geht es vielen Palästinensern, die vergeblich versuchen, ihre engsten Familienangehörigen in den Krisengebieten Palästinas telefonisch zu kontaktieren. "Ich habe große Angst um meine Familienmitglieder", sagt Amin, "ich möchte doch nur kurz hören und wissen, dass sie noch am Leben sind."

So wie Samira Amin geht es vielen Palästinensern in der Bundesrepublik. Auch Mustafa Shehadeh, Sprecher der deutschen Generaldelegation Palästinas in Bonn, macht sich Sorgen um seine Freunde und Familie, die sich derzeit im besetzten Betlehem befinden. "Sie haben kein Strom und kein Wasser", erzählt er, "ich weiß nicht, wie es ihnen im Moment geht."

Arabische Studenten halten zusammen

In Deutschland leben rund 200.000 Palästinenser. Viele von ihnen kamen als Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem Libanon oder Jordanien in die Bundesrepublik. Einer von ihnen ist Mohammed K. Er kam vor neun Jahren aus dem Gaza-Streifen nach Deutschland und studiert derzeit Elektrotechnik an der Technischen Universität in Berlin. "Ich habe zwar eine Heimat", sagt er, "aber ich bin staatenlos". So steht es in seinem Pass.


"Unsere Hoffnung auf einen Frieden in Palästina werden wir niemals aufgeben", sagt der 26-Jährige kämpferisch. Während er erzählt, stimmen ihm seine Kommilitonen, ein weiterer Palästinenser, ein Iraker und ein Ägypter, die mit am Tisch in der Universitätscafeteria sitzen, nickend zu. Die Stimmung ist gereizt, die Wut groß. "Alle Araber sind davon betroffen", sagt Abu-Ahmad M., "wir werden so lange kämpfen, bis wir unser Ziel erreicht haben." Das Ziel sei ein eigenständiger Staat, beteuern sie.


Doch viele Palästinenser fühlen sich von den Deutschen unverstanden. "Wir werden bei unserer Sache nicht genug unterstützt", meint etwa Walid Walid von der Vereinigten Palästinensischen Gemeinde in Berlin. Die Bundesregierung müsse sich stärker als bisher für die palästinensischen Interessen engagieren. "Wo bleibt die Solidarität mit dem palästinensischen Volk", fragt Walid. Für ihn sind die Palästinenser in allererster Linie Opfer. Es könne nicht angehen, dass sie immer wieder zu Tätern gemacht werden - und das schon seit mehr als 35 Jahren.


Gewaltaktionen in Deutschland werden abgelehnt

Die Angriffe in den vergangenen Tagen auf jüdische Bürger oder Anschläge auf jüdische Einrichtungen - wie in Frankreich oder zuletzt in Berlin - werden von palästinensischen Organisationen in Deutschland verurteilt. "Die Proteste sollten sich gegen die Politik Ariel Scharons richten und nicht gegen friedliche und unschuldige Menschen", erklärt Walid. Auch der Vorsitzende der Palästinensischen Gemeinde in Hannover, Raif Hussein, verdammt die Gewalt vonseiten in Deutschland. "Es sind unverantwortliche Taten von Leuten, auf die wir keinen Einfluss haben", sagt er. Hussein äußert die Sorge, dass durch solche Angriffe die Vorgehensweise Scharons nur noch gestärkt werde.


Krise im Nahen Osten erreicht deutsche Schulen


Auch an den Schulen wird der Nahost-Konflikt seit längerem ausgetragen. So fielen arabische Jugendliche öfters durch antiisraelische Sprüche auf, sagt Dieter Haase, stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Haase ist Lehrer an einer Schule, wo Jugendliche aus rund 40 Nationen unterrichtet werden, darunter auch jüdische Russen. Die Schüler befinden sich derzeit in den Ferien. Nach der Rückkehr könnte es aber sein, "dass bei einigen Jugendlichen etwas hochkommt," befürchtet Haase.


Für kommenden Samstag rufen mehrere palästinensische Organisationen in Berlin zu einer bundesweiten Demonstration auf. Ihr Motto: "Palästina muss Leben". Die Veranstalter rechnen mit mehreren tausend Menschen. "Wir müssen vordergründig Aufklärungsarbeit leisten", sagt Hussein, "um die Menschen für unser Anliegen zu gewinnen." An seine Landsleute appelliert er, Ruhe zu bewahren.



Sonntag, 27. Januar 2002

Die Palästinenser und die Revolution





"Die Rolle, die die Welt uns gegenüber spielte, war begrenzt: Sie schickte uns Tüten, gefühlt mit Brot, Käse und Stoffen - anstelle einer Heimat. Wir waren artige Kinder, deshalb war die Welt anständig zu uns. Unsere Rolle beschränkte sich darauf, in organisierten Schlangen zu stehen, um die Lebensmittelkarten entgegenzunehmen und den arabischen Ufern zu sitzen und uns die Tränen abzuwischen, die wir über die benachbarte Heimat vergossen. Die Welt kam zu uns, aber uns war es verboten, in die Welt zu gehen, damit unsere Schreie und Forderungen nicht ihre Ruhe stören. Wir müssen Flüchtlinge sein.
Wir haben uns sehr verändert... Wir wechselten von dem Ideal der Würde, des individuellen Abenteuers und des Volksliedsingens zu dem Ideal des Gewehrs, das heißt zur Organisation, zur kollektiven Arbeit und zur Revolution für ein gerechtes, klares Ziel. Wir sind nicht mehr Flüchtlinge, wir sind Kämpfer."



Mahmoud Darwisch: palästinensischer Dichter