Mittwoch, 12. August 2009

Presse: Fatah-Generalkonferenz

Der Generationswechsel ist ausgeblieben

Die lange erwartete Generalkonferenz der Fatah brachte viele neue Gesichter: Nur noch vier Mitglieder des alten Zentralkomitees haben ihre Posten behalten. Doch eine neue Politik muss das nicht bedeuten.

Von Hans-Christian Rößler, Jerusalem


12. August 2009

Ein Generationswechsel sieht anders aus. Viel war auf der Fatah-Generalkonferenz, die am Dienstag mit fünftägiger Verspätung in Bethlehem zu Ende ging, davon die Rede, dass endlich die jungen Mitglieder in der wichtigsten Palästinenserorganisation an Einfluss gewinnen sollten. Aber der jüngste Politiker, den die gut 2300 Delegierten ins Zentralkomitee wählten ist 48 Jahre alt. Die meisten Stimmen erhielten dagegen nach dem vorläufigen Endergebnis Patriarchen der Gründergeneration: 1937 ist Muhammad „Abu Maher“ Ghneim geboren und 1935 Mahmud Abbas, den die Delegierten am Samstag in offener Wahl mit nur 65 Gegenstimmen im Amt bestätigten.

Dennoch müssen sich die Fatah-Mitglieder künftig an viele neue Gesichter gewöhnen: Nur noch vier Mitglieder des alten Zentralkomitees behielten ihre Posten. Aufsehen erregte in Bethlehem das Scheitern des früheren Ministerpräsident Ahmed Qurei, der zuletzt die Verhandlungen mit Israel geführt hatte. Auch wenn er mit 72 Jahren ebenfalls der „alten Garde“ angehört, sah sich der langjährige Rivale von Mahmud Abbas noch lange nicht am Ende seiner politischen Karriere. Viele verübeln ihm offenbar immer noch, dass er über seine Al-Quds-Zementfabrik am Bau der israelischen Sperranlagen im Westjordanland verdiente.

Die alte Führung für ihre Unfähigkeit bestrafen“

Aber auch die vielen Neulinge an der Fatah-Spitze bedeuten nicht automatisch eine neue Politik. „Die Leute wollten die alte Führung für ihre Unfähigkeit bestrafen. Gleichzeitig fehlt aber dem Nachwuchs noch politisch die Statur. So ist letztlich Abbas, der der ,alten Garde' zuzurechnen ist, gestärkt aus dem Treffen hervorgekommen“, sagt der palästinensische Meinungsforscher Khalil Shikaki. Nach seiner Darlegung war sich Abbas aber offenbar seines Erfolges nicht ganz sicher. Zwar hätten die Delegierten in Bethlehem teils heftig diskutiert und dabei auch die alte Führung kritisiert. Abbas selbst habe sich dann aber ohne Gegenkandidaten in öffentlicher Wahl per Handzeichen wählen lassen - „der vielleicht schwächste Moment einer sonst gelungen Konferenz“, bemängelt Shikaki.

Der Erfolg von Abbas und der ihm nahestehender Kandidaten stößt unter Palästinenser jedoch nicht auf ungeteilte Zustimmung. Zaqaria al Qaq, Vizepräsident der Al-Quds-Universität in Jerusalem, befürchtet, dass die Fatah deshalb unter den Palästinensern längerfristig an Unterstützung verlieren könnte: „Er hat vielleicht die Delegierten auf seiner Seite, aber nicht die Bevölkerung. Aus einer Bewegung, die bisher alle Leute repräsentierte, droht jetzt eine Art Partei zu werden, die nur noch Abbas' Vorstellungen vertritt.“ Das scheinen die erfolgreichen Mitglieder des Zentralkomitees nicht zu befürchten. So schwärmte am Dienstag Muhammad Dahlan vom Beginn eines „neuen demokratischen Zeitalters“.

Intensiver Einfluss aus dem Gefängnis

Dschibril Radschub freute sich über den „Coup“ gegen die bisherige Fatah-Führung, die über ihr Tun nicht einmal Rechenschaft ablegen wollte. Dahlan, der früher Sicherheitschef im Westjordanland war und Radschub, der die gleiche Position im Westjordanland inne hatte, müssen aber vielen Palästinensern erst beweisen, dass sie auch halten, was sie versprechen. Denn auch sie gehörten seit den neunziger Jahren der von ihnen gescholtenen Führung an. Beiden wird vorgeworfen, sie hätten sich bereichert und politische Gegner der Fatah misshandeln lassen.

Deutlich mehr Stimmen als die beiden erhielt Marwan Barghouti, der in einem israelischen Gefängnis eine mehrfach lebenslange Haftstrafe verbüßt. Ihn können sich viele Palästinenser eines Tages auch als ihren nächsten Präsidenten vorstellen. Aus dem Gefängnis nimmt er oft intensiv Einfluss auf die palästinensische Tagespolitik - längst viel stärker als die Fatah-Führer, die immer noch im Exil leben.

Für alle war etwas dabei

Aber spätestens seit der Entscheidung, die Konferenz in Bethlehem abzuhalten, ist die Fatah nach Ansicht des palästinensischen Publizisten Daoud Kuttab endgültig nach Palästina zurückgekehrt. „So lange die Führer der Bewegung in verschiedenen arabischen Ländern lebten, waren sie Versuche der Einflussnahme der einen oder anderen Regierung ausgesetzt“, sagt Kuttab. Mit der Rückkehr in die alte Heimat könnte nun aber auch der Einfluss von Fatah-Führern wie Faruk Kaddumi abnehmen, der weiter im Exil lebt, Verhandlungen mit Israel ablehnt und Politiker wie Abbas politisch bekämpft.

So hatte Kaddumi Abbas kurz vor dem Parteitag vorgeworfen, gemeinsam mit Israel Jassir Arafat ermordet zu haben. Aber die Front der Hardliner im Exil bröckelt: Kaddumi wurde nicht wieder ins Zentralkomitee gewählt und Abu Maher Ghneim, der viele Jahre lang gegen Friedensgespräche war, reiste nach Bethlehem und will sich angeblich ganz in Palästina niederlassen.

Die gefährlichen Gegner der neuen Fatah-Führung in den Palästinensergebieten sitzen nicht mehr im fernen Tunis, sondern in Gestalt der Hamas in Gaza-Stadt. Die harschesten Angriffe auf dem Parteitag galten deshalb in Bethlehem den islamistischen Konkurrenten, während in den eigenen Reihen das Bemühen um Integration das einwöchige Treffen prägte. Das ließ sich an den Kandidatenlisten für die Wahlen wie am politischen Programm ablesen: Für alle war etwas dabei.

„Widerstand ist ein legitimes Recht“

Dort fand der Wunsch vor allem vieler jüngerer Delegierter Niederschlag, dass sich die Fatah eine Option auf „Widerstand“ gegen Israel offen hält: „Widerstand, in allen Formen, ist ein legitimes Recht von Völkern unter Besatzung“, heißt es dazu. Auch wurde festgehalten, dass die bewaffneten Al-Aqsa-Brigaden, die zahlreiche Anschläge auf Israelis verübten, Teil der Fatah sind und bleiben werden. Präsident Abbas stellte jedoch mehrfach klar, dass Friedensverhandlungen mit Israel für ihn weiterhin Vorrang haben. Für die Gespräche mit Israel formulierten die Delegierten zwar eine Liste für Bedingungen, zu denen zum Beispiel die Freilassung aller 11.000 palästinensischen Gefangenen und ein Ende der Abriegelung des Gazastreifens gehören.

Enge Fesseln legten sie Abbas aber damit nicht an: Ein Ausschuss soll nach dem Treffen in Bethlehem die endgültige Fassung des Programms erstellen - wie auch einen Rechenschaftsbericht mit allen Ausgaben der Fatah in den vergangenen 20 Jahren, den die Delegierten von Abbas in Bethlehem vergeblich verlangt hatten. „Der nächste Parteitag ist erst in fünf Jahren. Mit der Überweisung an die Ausschüsse ist die Sache gestorben“, erwartet ein palästinensischer Beobachter in Ost-Jerusalem.

„Frieden jetzt“

In Israel rief dagegen die aus Bethlehem verlautende Kritik Besorgnis hervor. In den nächsten Jahren könne man die Hoffnung auf ein Abkommen mit den Palästinensern „begraben“, sagte etwa Außenminister Lieberman, von der rechtsgerichteten Partei „Israel Beitenu“. Andere mahnen dagegen zu mehr Realismus. „Wer glaubte, die Palästinenser würden nun dem Zionistischen Kongress beitreten und Israel die Treue schwören, der hatte Gründe, enttäuscht zu sein“, mahnt Yariv Oppenheimer, der Vorsitzende der Gruppe „Frieden jetzt“.

Er ist zuversichtlich, dass sich die Palästinenser weiter um eine friedliche Lösung bemühen werden. Dieser Hoffnung scheint auch die Regierung des Likud-Vorsitzenden Netanjahu zu sein. Er und die Minister seiner Partei hielten sich mit offener Kritik zurück und halfen Abbas fast geräuschlos, die Konferenz zu organisieren: Alle Delegierten, die Abbas benannte, ließen die israelischen Behörden nach Bethlehem kommen und am Dienstag wieder ausreisen. Auch diejenigen, die einst Israelis getötet hatten.

Text: F.A.Z.
Bildmaterial: AP

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen