Samstag, 25. Juli 2009

Israel besitzt von Seiten Amerikas eine Existenzgarantie.
Washington hat die Existenz Israels zum Teil seiner Staatsraison gemacht.

Fremde Federn: Robert Spaemann
Schutz und Gehorsam


Kein Friede in Aussicht im Nahen Osten, kein Friede, der den Namen verdiente. Stattdessen wieder ein Krieg. Und bei diesem Krieg braucht man die Frage nach Recht und Unrecht nicht weiter zu stellen. Zehn Tote auf der israelischen, 1300 Tote auf der arabischen Seite hat es im Gaza-Krieg gegeben - da kann von Verhältnismäßigkeit keine Rede mehr sein.

Dem Staat Israel ist es in dem mehr als einem halben Jahrhundert seiner Existenz nicht gelungen, als bereichernder, modernitätsstimulierender Teil der Region anerkannt zu werden. Die Ursachen hierfür sind vielfältig. Eine der entscheidenden ist die Tatsache, dass Israel nie so etwas wie eine Bringschuld des zunächst unwillkommenen Neuankömmlings gegenüber seinen Nachbarn, insbesondere aber gegenüber der eigenen arabischen Bevölkerung, empfunden und anerkannt hat. Es ist immer aufgetreten als Herr, der nach einem langen Exil nun wieder sein angestammtes Erbe antritt - unter gewisser, eingeschränkter Berücksichtigung der bisher dort lebenden Bevölkerung. Dieser wird keineswegs Gleichberechtigung zugestanden. Der Gedanke Martin Bubers an einen gemeinsamen jüdisch-arabischen Staat Palästina ist wohl inzwischen zu einem ausgeträumten Traum geworden, obgleich er wahrscheinlich der einzig realistische war. Zurzeit wird in israelischen Regierungskreisen erwogen, den israelischen Arabern den Gedenktag der Vertreibung von Hunderttausenden aus ihrer Heimat zu verbieten, ja ihr Bleiberecht von der förmlichen Anerkennung des jüdischen Charakters des Staates Israel abhängig zu machen. Das hieße ihren Status als Fremde in ihrer Heimat endgültig festschreiben. UN-Beschlüsse ignoriert der Staat, gegen Israel gerichtete Beschlüsse des Sicherheitsrates scheitern am Veto der Vereinigten Staaten.

Und hier liegt meines Erachtens die Antwort auf die Frage, warum es im Nahen Osten zu keinem Frieden kommt. Der Schlüssel zu einem solchen Frieden liegt in Amerika. Und der Friede kommt nicht zustande, weil hier ein Grundgesetz des politischen Lebens beständig missachtet wird, das Gesetz des Zusammenhangs von Schutz und Gehorsam.

Israel besitzt von Seiten Amerikas eine Existenzgarantie. Washington hat die Existenz Israels zum Teil seiner Staatsraison gemacht. Dass die deutsche Bundeskanzlerin erklärt, das Gleiche zu tun, ist natürlich absurd. Will Frau Merkel wirklich die Existenz der Bundesrepublik Deutschland von der Fortexistenz des Staates Israel abhängig machen? Und soll sich Israel wirklich darauf verlassen, dass Deutschland seine Existenz mit der des Staates Israel identifiziert? Wenn ja, dann gälte hier erst recht: Wer Schutz gewährt, muss die Bedingungen diktieren können. Glaubt Frau Merkel wirklich, die Atommacht Israel würde sich ausgerechnet von Deutschland ihre Politik diktieren lassen?

Von Washington müsste es dies. Und solange Amerika das nicht verlangt, können die Bemühungen Obamas nur scheitern. Netanjahu hat bereits erklärt, Israel nehme keine Befehle entgegen, und sein Außenminister, Amerika werde letztlich jede Entscheidung Israels mittragen. Ebendies aber ist der Grund des Übels. Nicht die Existenzgarantie für Israel und nicht die massiven Hilfen aus Amerika sind der Fehler. Ohne diese Garantie hätte dieser Staat keine Zukunft. Auf Atombomben allein kann Israel seine Sicherheit auf die Länge nicht gründen. Gegen die Gesetze des Politischen wird dadurch verstoßen, dass diese Garantie bedingungslos ist. Amerika gibt Ratschäge, es drängt, es tadelt, es bestellt den Botschafter ein, es übt verschiedene Formen von Druck aus. Aber die israelische Regierung schätzt die Lage ganz realistisch ein: Ob sie die Ratschläge befolgt oder nicht, bleibt letztlich ihre Sache. Wenn sie es nicht tut, setzt sie die Existenz des Staates nicht aufs Spiel.

Und so muss die Politik dieses Staates immer in einem tiefen Sinn unverantwortlich bleiben. Er kann handeln wie ein Halbwüchsiger, der deshalb nie erwachsen wird, weil, was auch immer er anrichtet, der Papa es schon richten wird und er nie die Suppe auslöffeln muss, die er sich eingebrockt hat. Nur Amerika kann Israel dazu verhelfen, erwachsen zu werden und den Realitäten ins Auge zu sehen.

"Bedingungslose Solidarität", das hatte einmal Gerhard Schröder nach dem "11. September" Amerika zugesagt.
Das Wort "bedingungslos" hat im politischen Raum nichts verloren. Es wirkt dort immer verhängnisvoll. Besonders dann, wenn der Starke seinen Schutz bedingungslos dem Schwächeren garantiert und damit dem Schwanz erlaubt, mit dem Hund zu wedeln. Amerika muss der arabischen Welt nach wie vor klarmachen, dass jeder Versuch, diesen Staat auszulöschen, von Washington als Angriff auf das eigene Land betrachtet wird - vorausgesetzt aber, Israel beseitigt die Hindernisse für den Frieden, es beendet die Besatzung fremden Territoriums, es stoppt nicht nur die völkerrechtswidrigen Siedlungsbauten, sondern beseitigt auch die bisher auf fremdem Territorium gebauten Siedlungen.


Ferner: Israel verzichtet auf die ethnische Selbstdefinition, die jeden Nichtjuden in diesem Staat zum Fremden macht. Entscheidend ist, wer diese Hindernisse als Hindernisse definiert. Und das kann nur der sein, der die Bestandsgarantie gibt. Amerika hat eine Verantwortung für Israel, solange Israel von Amerika abhängig ist. Und es wird dieser Verantwortung nur gerecht, wenn es Bedingungen formuliert, von deren Erfüllung es die Bestandsgarantie abhängig macht. Das allein würde in Israel zum Erwachen eines Bewusstseins für die Realitäten führen, das die Voraussetzung eines Friedens im Nahen Osten bildet.

Der Autor ist emeritierter Professor der Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität zu München.

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